Verbraucherinsolvenz in Deutschland und das teilweise in Polen befindliche Vermögen des Schuldners

04.09.2023

Aufgrund der zunehmenden Mobilität der Bürger der EU-Länder und der Erleichterung von Geschäften innerhalb der EU werden wir in rechtlicher Hinsicht immer häufiger mit Insolvenzfällen konfrontiert, die entweder Unternehmer mit Tätigkeiten oder Vermögenswerten in mehreren Ländern oder Einzelpersonen betreffen, deren Vermögen sich in mehr als einem EU-Land befindet. Dies wirft eine Reihe von Rechtsfragen hinsichtlich der Insolvenzregelung in solchen Fällen auf.

Kürzlich hat unsere Kanzlei einem ausländischen (deutschen) Insolvenzverwalter beraten, der ein Insolvenzverfahren gegen eine natürliche Person führt, die in Deutschland ansässig ist und dort den Schwerpunkt ihres Kerngeschäfts hat, aber die polnische Staatsangehörigkeit und einige Vermögenswerte in Polen besitzt. In diesem Zusammenhang stellte sich u.a. die Rechtsfrage, ob und auf welcher Grundlage der vom deutschen Insolvenzgericht bestellte Insolvenzverwalter berechtigt ist, über Immobilien des Schuldners zu verfügen, wenn diese sich in Polen befinden.

Hauptbedeutung für die Lösung dieser Frage hat die Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (im Folgenden Verordnung (EU) 2015/848). Die Verordnung (EU) 2015/848 sieht unter anderem die automatische Anerkennung von Entscheidungen der EU-Gerichte in Insolvenzfällen vor, was bedeuten sollte, dass sich die Wirkungen, die sich aus einem Verfahren auf der Grundlage des Staates der Verfahrenseröffnung ergeben, auf alle anderen Mitgliedstaaten erstrecken. Der Grundsatz der automatischen Anerkennung der Insolvenzentscheidungen ist im Art. 19 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2015/848 ausdrücklich vorgesehen, wonach die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein Gericht eines Mitgliedstaats, das gemäß Art. 3 Abs. 1 der oben genannten Verordnung zuständig ist (d.h. das Gericht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens befindet), in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt wird, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist. Art. 19 der Verordnung (EU) 2015/848 gilt sowohl für Haupt- als auch für Sekundärinsolvenzverfahren. Die Regelung des Art. 19 der Verordnung (EU) 2015/848 bedeutet also, dass eine hoheitliche Handlung einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaates, aufgrund derer in einem Mitgliedstaat ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wird, in anderen Mitgliedstaaten Wirkungen verursacht, ohne dass es eines Anerkennungsaktes oder der Gegenseitigkeit bedarf. Die vorgenannte Rechtsvorschrift löst also nicht nur eine automatische Anerkennung, sondern auch eine “automatische” Vollstreckbarkeit einer solchen Entscheidung im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten aus.

Die automatische Anerkennung bedeutet also, dass sich die Wirkungen eines Insolvenzverfahrens, das nach dem Recht des Mitgliedstaats der Verfahrenseröffnung eröffnet wurde, auf alle anderen Mitgliedstaaten erstreckt, wobei die Anerkennung der von den Gerichten der Mitgliedstaaten erlassenen Entscheidungen auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruht.

Daher werden Entscheidungen von Gerichten anderer Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Dänemarks) in Polen von Rechts wegen anerkannt, und in einem solchen Fall gelten die besonderen Bestimmungen des polnischen Insolvenzrechts über die Anerkennung von Entscheidungen über die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens (d. h. Art. 386 – 404 des Gesetzes vom 28. Februar 2003 – Konkursgesetz) nicht. Diese Bestimmungen gelten nur für Insolvenzen, die in Nicht-EU-Ländern und Dänemark eröffnet wurden.

Grundlage für das Handeln des in Deutschland bestellten Insolvenzverwalters bei der Veräußerung der in Polen gelegenen Immobilien des Schuldners wird daher die Entscheidung des Insolvenzgerichts in Deutschland über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Entscheidung über die Bestellung des jeweiligen Insolvenzverwalters sein. Das polnische Insolvenzgericht muss hingegen die oben genannten Entscheidungen nicht zusätzlich anerkennen oder den Verkauf der Immobilien des Schuldners in Polen genehmigen, da diese Entscheidungen gemäß der Verordnung 2015/848 automatisch anerkannt werden.

Am Rande ist darauf hinzuweisen, dass es eine Ausnahme vom Grundsatz der automatischen Anerkennung von Insolvenzverfahren in den EU-Mitgliedstaaten gibt, wie der Oberste Gericht in Polen in seinem Urteil vom 16. Februar 2011 in der Rechtssache II CSK 425/10 festgestellt hat: “Die Ausnahme vom Grundsatz der automatischen Anerkennung ist Art. 26 der Verordnung (aktuell Art. 33 der Verordnung 2015/848 – eigene Anmerkung), der einem Mitgliedstaat das Recht einräumt, die Anerkennung eines Insolvenzverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat oder dessen Vollstreckung zu verweigern, soweit eine solche Anerkennung oder Vollstreckung zu einem Ergebnis führen würde, das mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit seinen Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, offensichtlich unvereinbar ist.”

Sollten Sie an den oben genannten Themen interessiert sein, steht Ihnen unsere Kanzlei gern zur Verfügung.

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